TEI-P5
Pacelli meint an dieser Stelle nicht das "Grundgesetz (Verfassung) der Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken" vom 31. Januar 1924, sondern den Vorgänger, die
"Verfassung (Grundgesetz) der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik" vom
10. Juli 1918. Diese vereinte vier Elemente: Erstens verankerte sie die in der
Oktoberrevolution teilweise spontan getroffenen Anordnungen sowie die in dieser Zeit
geschaffenen Organe und Verwaltungen konstitutionell. Damit legitimierte sie die bereits
bestehenden Organisationsstrukturen der Diktatur des Proletariats. Zweitens wurde ihr die
"Deklaration der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes" vom Januar 1918 als
Präambel vorangestellt. Ihr zufolge sollte nicht das ganze Volk, sondern die Klasse der
Werktätigen Souverän sein. Auch wurde der Rätestaat als Staatsform bestimmt. Drittens
setzten sich die Bolschewiki in der Verfassung mit ihrem Zentralismus gegen andere
dezentrale Staatskonzepte durch. Viertens trug sie nicht nur deskriptiven, sondern auch
programmatisch-utopischen Charakter. Staatsziel war die Errichtung einer klassenlosen
Gesellschaft ohne Staatsmacht.
Gerade unter den Bedingungen des russischen Bürgerkriegs trug die Verfassung provisorischen Charakter. Die Gesetzgebungsarbeit war weiter pragmatisch-situationsbedingt und folgte kaum einem roten Verfassungsfaden. Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit klafften nicht erst bei den späteren Verfassungen von 1924 und 1936, sondern bereits 1918 auseinander. Die Verfassung war dem Staat nicht vorgeordnet gedacht, sondern Bestandteil des Staates. So war sie höchste geltende Rechtsnorm des Landes, konnte aber der politischen Macht selbst keine Grenze setzen, weil sie dem Staat unbegrenzte Machtmittel in die Hand gab. Dementsprechend gab es auch keine Verfassungsgerichtsbarkeit.
Online seit 24.06.2016, letzte Änderung am 23.02.2017. Als PDF anzeigen
Verfassung (Grundgesetz) der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik vom 10. Juli 1918
Gerade unter den Bedingungen des russischen Bürgerkriegs trug die Verfassung provisorischen Charakter. Die Gesetzgebungsarbeit war weiter pragmatisch-situationsbedingt und folgte kaum einem roten Verfassungsfaden. Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit klafften nicht erst bei den späteren Verfassungen von 1924 und 1936, sondern bereits 1918 auseinander. Die Verfassung war dem Staat nicht vorgeordnet gedacht, sondern Bestandteil des Staates. So war sie höchste geltende Rechtsnorm des Landes, konnte aber der politischen Macht selbst keine Grenze setzen, weil sie dem Staat unbegrenzte Machtmittel in die Hand gab. Dementsprechend gab es auch keine Verfassungsgerichtsbarkeit.
Quellen
Verfassung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR).
Angenommen vom 5. Allrussischen Sowjetkongreß am 10. Juli 1918, in:
ALTRICHTER, Helmut (Hg.), Die Sowjetunion. Von der Oktoberrevolution bis zu Stalins Tod,
Bd. 1: Staat und Partei, München 1986, Nr. 62, S. 143-160.
Literatur
PLAGGENBORG, Stefan, Die Organisation des Sowjetstaates, in: SCHRAMM, Gottfried (Hg.),
Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 3: 1856-1945. Von den autokratischen
Reformen zum Sowjetstaat, Halbbd. 2, Stuttgart 1992, S. 1413-1525, hier
1414-1422.
VIAF:
311455988
Empfohlene Zitierweise
Verfassung (Grundgesetz) der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik vom 10. Juli 1918, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 1310, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/1310. Letzter Zugriff am: 21.05.2025.