Deutsche Zentrumspartei, Reichsparteitag vom 8. und 9. Dezember 1928

Am 8. und 9. Dezember 1928 versammelte sich in Köln der fünfte Reichsparteitag der Zentrumspartei. Er fand vor dem Hintergrund der Spannungen zwischen dem rechten und dem linken bzw. Gewerkschaftsflügel statt, die 1927/28 während der vierten Regierung Reichskanzler Wilhelm Marx', die die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) eingeschlossen hatte, eskaliert waren. Marx, der zugleich Parteivorsitzender war, geriet dabei ins Kreuzfeuer. Er resignierte und war Ende Januar 1928 entschlossen, sowohl Kanzlerschaft als auch Parteivorsitz abzulegen, wenn sich eine Gelegenheit böte.
Zunächst wurde bei den Reichstagswahlen am 20. Mai 1928 Marx' Koalition abgewählt. Er selbst blieb bei den folgenden Koalitionsverhandlungen ohne Einfluss. Bei der Parteivorstandstagung am 6. und 7. Oktober gab Marx schließlich bekannt, den Parteivorsitz abgeben zu wollen. Dabei schob er gesundheitliche Gründe vor. Adam Stegerwald und Joseph Joos bewarben sich um seine Nachfolge. Beide kamen vom Gewerkschaftsflügel und hatten wenig Aussichten, die gesamte Partei hinter sich zu versammeln. Die Parteiführung konnte sich ebenfalls auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen. Auf dem Parteitag tauchte - nach Auffassung der einschlägigen Forschung - wie aus dem Nichts der Name Ludwig Kaas auf. Der Prälat, der als Priester scheinbar über den gegensätzlichen Interessen der Parteiflügel stand, gewann im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Tatsächlich war Kaas' Wahl der Auftakt für einen Rechtsschwenk der Partei.
Analyse
Dass Kaas ohne eigene Ambitionen und gleichsam spontan den Parteivorsitz übernahm, kann auch angezweifelt werden. Marx teilte dem Prälaten schon im März 1928 vertraulich mit, zurücktreten zu wollen. Kaas selbst wurde bereits im Vorfeld des Reichsparteitags als möglicher Kandidat für den Parteivorsitz gehandelt. Auffällig ist zudem, dass Kaas noch im Juni aus gesundheitlichen Gründen auf das Amts des Weihbischofs von Berlin verzichtete (Dokument Nr. 4163), zwei Monate später aber den Parteivorsitz übernahm.
Christoph Hübner bringt Kaas' Wahl zum Parteivorsitzenden mit dem päpstlichen Sendschreiben "Quae nobis" vom 13. November 1928 in Verbindung, mit dem Pius XI. erneut sein anti-politisches, klerikales Konzept der Katholischen Aktion propagierte, welche die Zentrumspartei in ihrer damaligen Form erübrigt hätte. Hübner nimmt an, dass die Delegierten mit der Wahl Kaas', eines engen Vertrauten Pacellis, ihrer Partei die Existenz retten wollten.
Literatur
BACHEM, Karl, Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung sowie zur allgemeinen Geschichte des neueren und neuesten Deutschlands 1815-1914. Nebst einem kurzen Überblick über die Zeit von 1914-1930, Bd. 8: Das Zentrum in den süddeutschen Staaten 1887-1914. Das Zentrum in und nach dem Weltkriege 1914-1930, Köln 1931, S. 342 f.
HEHL, Ulrich von, Wilhelm Marx 1863-1946. Eine politische Biographie (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 47), Mainz 1987, S. 443-462.
HÖRSTER-PHILIPPS, Ulrike, Joseph Wirth 1879-1956. Eine politische Biographie (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 82), Paderborn u. a. 1998, S. 374.
HÜBNER, Christoph, Die Rechtskatholiken, die Zentrumspartei und die katholische Kirche in Deutschland bis zum Reichskonkordat von 1933. Ein Beitrag zur Geschichte des Scheiterns der Weimarer Republik (Beiträge zu Theologie, Kirche und Gesellschaft im 20. Jahrhundert 24), Berlin 2014, S. 533-537.
MAY, Georg, Ludwig Kaas. Der Priester, der Politiker und der Gelehrte aus der Schule von Ulrich Stutz, Bd. 2 (Kanonistische Studien und Texte 34), Amsterdam 1982, 612-620.
Empfohlene Zitierweise
Deutsche Zentrumspartei, Reichsparteitag vom 8. und 9. Dezember 1928, in: 'Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte Eugenio Pacellis (1917-1929)', Schlagwort Nr. 3545, URL: www.pacelli-edition.de/Schlagwort/3545. Letzter Zugriff am: 23.04.2024.
Online seit 20.01.2020.
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